Geocaching: „Earn your Stripes“

Ich kämpfe mich durchs Unterholz. Überall Dornen. Das kann hier nicht wirklich richtig sein. Erst gestern wurde der Cache das letzte mal geloggt, da müsste noch eine Spur zu sehen sein. So schnell kann das Gestrüpp doch nicht wieder zuwachsen.
Ich hole mein GPS-Gerät aus der Tasche. Mist. Die Kompassnadel ist schon wieder gesprungen. 12 Meter Nordwest das Ziel. Ich hasse diese Ungenauigkeiten. Schlechter Satellitenempfang, bestätigt mir mein altes Garmin. „Ist der Himmel nicht frei?“ fragt es mich scheinheilig. Hah, ein freier Himmel mitten im Wald? Der Witz war gut ...
Ich richte mich auf und atme tief durch. „Kein Grund zur Aufregung,“ sage ich mir. „Das ist nicht dein erster Cache, schalt deinen Instinkt ein. Wo würdest DU ihn verstecken?“
Mein Auge sucht die Gegend ab. Drei Grabhügel soll es hier geben. Ich entdecke nur einen im Zielradius. Da der Cache „Die Gräber anderer Leute“ heißt, kann er nur hier liegen. Größe „small“. Also vermutlich eine Tupperdose. Sie wird nicht mitten im Gestrüpp versteckt sein und Bäume gibt es weniger als eine Hand voll. Wie wäre es mit dem dort?
Ein paar blutige Kratzer später umrunde ich den Stamm und achte auf die kleinen Zeichen, die ein Versteck andeuten. Ein Stein, der nicht halb in Erde und Moos eingewachsen ist oder ein dickes, kurzes Aststück, dass vor einer Öffnung zwischen den Wurzeln liegt ...
Mein Puls steigt. Das Jagdfieber hat mich gepackt und ich spüre, dass ich dem Schatz dicht auf der Spur bin. Irgendwo hier muss es sein.
Nur gut, dass der Hügel die Sicht zur nahen Straße verdeckt. Auf „Muggel“ - wie Cacher ungebetene Zuschauer nennen - muss ich nicht achten. Es würde in ihren Augen sicher seltsam aussehen, dass ich hier Stein um Stein umdrehe.
Plötzlich schleicht sich ein breites Lächeln in mein Gesicht. Ich habe den Cache gefunden. Das weiß ich, ohne ihn gesehen zu haben. Hinter diesem ... (was genau verrate ich nicht ^^) ist er. Garantiert. Irgendwie spürt man das. Mein Herz schlägt Alarm wie ein Cache-Detektor. Der Instinkt funktioniert auch nach den Jahren der Pause noch zuverlässig.
Jetzt lasse ich mir Zeit, koste diesen Augenblick aus. Dafür liebe ich Geocaching, dafür krabbele ich durch Dornen und Dreck. Indiana Jones persönlich könnte sich nicht besser fühlen, wenn er ein antikes Artefakt gefunden hat. Ein Adrenalinstoß schießt mir durch die Adern und meine Hand zittert ein wenig, als ich das letzte Hindernis aus dem Weg räume. Da ist er, der Schatz. MEIN Schatz ...
Vorsichtig hole ich die Dose aus ihrem Versteck und suche mir ein freies Plätzchen. Ich betrachte sie von allen Seiten. Zögere den Augenblick noch ein wenig heraus - und dann öffne ich den Deckel.
Zwischen all dem kleinen Nippes, den Plastikfiguren und Glasperlen finde ich das Logbuch. Ich blättere darin, lese die vielen Namen und stelle mir vor, dass auch sie mitten im Wald gesessen und sich hier eingetragen haben. Schatzsucher wie ich. Obwohl ich sie nicht kenne, fühle ich mich ihnen verbunden. Teil einer Gemeinschaft, für die die Welt voller Abenteuer und noch unentdeckter Überraschungen ist. Stolz füge ich dieser Liste meinen Namen hinzu.
Welche der kleinen, nur Centbeträge kostenden und doch für uns unbezahlbaren Kostbarkeiten werde ich gegen meinen mitgebrachten Dominostein eintauschen? Ich entscheide mich für ein paar Kegelrobben-Aufkleber. Sie erinnern mich an unseren Ausflug nach Helgoland.
Und dann, beim Kramen im Döschen, finde ich ihn: den Coinus Thornes. Ein Geocoin, der von Cache zu Cache durch die Welt wandert und schon durch unzählige Hände gegangen ist, bevor er hier am Hügelgrab auf mich gewartet hat. Auf der Vorderseite Dornen, ein Blutstropfen und der Schriftzug „Do you dare“ und auf der Rückseite ein paar blutige Kratzer, die quer über den Spruch „Earn your Stripes“ gehen. Lächelnd schaue ich auf die roten Steifen, die meine rechte Hand zieren. Ja, ich habe mir nach so langer Zeit meine ersten neuen Streifen verdient. Und es werden nicht die einzigen bleiben ...