22.06.2012 10:36 Age: 12 yrs
Category: WE-TRIP, NATUR-WE-TRIP, Mecklenburg-Vorpommern, Ostsee, René Heß
By: René Heß

Schnapsidee! Ein Spontan-Trip auf die Insel Rügen


Es ist schon einige Zeit her, da erfuhr ich, was der Begriff Schnapsidee bedeutet. Von einer Schnapsidee spricht man nämlich, wenn abends nach dem Genuss der einen oder anderen Flasche Schnaps neun Leute eine geradezu fantastische Idee haben und am nächsten Morgen dann tatsächlich zwei Mann antreten, um diese Idee in die Tat umzusetzen. In unserem Fall war es so, dass angeregt durch das Delirium versprechende Destillat jeder von uns Ostgeborenen seine schönsten Urlaubserlebnisse von der Ostsee zum besten gab und wir in unserer (N)ostalgie geschwängerten Verfassung zu dem für uns absolut logischen Schluss kamen, dass wir alle am nächsten Morgen an die Ostsee fahren müssten. Wie sich herausstellte, kam der nächste Morgen (ein Samstag) zu schnell für einige unserer wackeren Mitstreiter vom Vorabend, so dass wir am Ende zwei Personen waren, die optimal ausgerüstet (Zelt, Schlafsack, Badehose, Insektenspray und Ravioli) zum Abenteuer Ostsee aufbrachen. 

Die Fahrt von Eisenach nach Nonnevitz sollte 20 Minuten dauern. Zumindest war das die geplante Zeit, die ich im Wachzustand verbringen wollte. Leider wurde da nichts draus. Jeder, der schon mal eine längere Fahrt auf so einer Holzperlensitzauflage hinter sich hat, weiß wovon ich rede. Also verbrachten Marcel und ich die Fahrt damit, in Erinnerungen zu schwelgen und uns auszumalen, was wir alles schaffen konnten während unseres kurzen Aufenthalts an der Ostsee. Da für den Sonntag schon die Rückreise geplant war, fiel die Liste am Ende recht kurz aus, was aber unsere Vorfreude nicht schmälerte.
Was die Freude allerdings erheblich schmälerte, war der Anblick, der sich bei unserer Ankunft bot. Der Ort, dem ich als Kind schlafend in der Hutablage oder freudig zappelnd auf dem Rücksitz unseres alten Trabbis über holperige DDR-Autobahnen entgegen fieberte, den gab es nicht mehr. Da wo 15 Jahre zuvor noch die Bungalowanlage stand mit dem Fliegenpilzklettergerüst und dem braunen Jägerzaun, da stand ein Ferienhotel. Ein riesiger Kasten weißer Beton mit viel Glas und so viel Ausstrahlung wie ein griechischer Finanzberater.
Was mich noch mehr ärgerte, war die Tatsache, dass auch das kleine alte Reetdachhaus verschwunden war, in dem die alte Dame, die wir immer Urlaubsoma genannt haben und die immer Bonbons in ihrer Schürzentasche hatte, mit ihren zwei Spitzrüden gewohnt hat. Dort, wo sich ihr Haus am Rand des Waldstückes, hinter dem der Strand begann, unter den Bäumen geduckt hatte, war nun ein umzäunter Tennisplatz.
Ich weiß nicht, ob es noch am Schnaps vom Vortag lag oder an der sentimentalen Färbung, die dieser Trip von Anfang an hatte, aber wieder besseren Wissens ist keiner von uns beiden auch nur ansatzweise auf die Idee gekommen, dass wir am Ziel etwas anderes vorfinden würden als das, was wir seit Kindertagen mit diesem Ort verbunden haben. Unsere letzte Hoffnung auf einen Ort mit Wiedererkennungswert war der Strand und obwohl es inzwischen zu regnen begonnen hatte und der alte Weg durch den Tennisplatz verbaut war, erreichten wir am späten Nachmittag den Strand und hier war nun wirklich alles wie früher. Die Geräusche, der Geruch nach Meer, selbst das Gefühl, barfuß durch den nassen Sand zu laufen, war wie damals und es tat auch noch genauso weh wie damals, wenn man barfuß auf eine spitze Muschelschale trat.
Trotz des zunehmenden Regens ließen wir es uns nicht nehmen, im Meer zu schwimmen, was uns zwar den einen oder anderen komischen Blick von beschirmten Spaziergängern einbrachte. Aber das war uns egal. Genauso egal war uns die niedrige Wassertemperatur, was Marcel eine stattliche Erkältung einbrachte. Als es langsam anfing, dunkel zu werden, mussten wir uns entscheiden: entweder Zelt aufbauen und Dosenravioli oder Backfisch mit Kartoffelsalat im Wirtshaus und dafür im Auto pennen. Was soll ich sagen, das Auto war stickig und voller Mücken und die Holzperlensitzauflage ist nach einer dreiviertel Stunde raus geflogen, aber der Backfisch war es definitiv wert!
Das Highlight der Heimfahrt war Marcels Fahrt im Halbstand, als ihm seine Zigarette zwischen die Beine gefallen war und er gute drei Kilometer Autobahn zurücklegen musste, während er sich am Lenkrad in die Schwebe zog. Vermutlich hätte auch ein Kilometer gereicht, aber ich musste so herzhaft lachen, dass ich erst nach einer geraumen Weile in der Lage war, die Kippe vom Sitz zu fischen. Zum Glück haben die Holzperlen kein Feuer gefangen.
In diesem Sinne bewahrt Euch Eure Erinnerungen, schreibt sie auf, klebt fleißig Bilder ins Album, denn am Ende kommt der Fortschritt und lässt außer Erinnerungen nicht viel übrig

(Kurzvorstellung unseres Gastautors René Heß unter "über uns - Mitmacher")

Foto: Sonnenuntergang bei Nonnevitz auf Rügen
copyright: gemeinfrei
Urheber:carport aus der deutschsprachigen Wikipedia


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