Wandern um den Schweriner See (zweiter Teil)
Ist Wandern am zweiten Tag schwieriger oder leichter als am ersten? Diese Frage hörte ich mehrfach, als ich von meinen Wanderplänen um den Schweriner See erzählte. Ich weiß nicht, wie ein gut trainierter Wanderer sie beantworten würde. Meine letzte mehrtägige Tour lag einige Jahre zurück - aber ich erinnerte mich noch gut, dass sich die Beinmuskeln auf den ersten Kilometern immer erst einmal über die Torturen des Vortages beschwerten, ehe sie wieder weich und geschmeidig wurden und richtig „rund“ liefen. Deshalb machte ich mir auch keine großen Sorgen über das Zerren im linken Oberschenkel, als ich nach einem leckeren Frühstück zu meiner nächsten Etappe aufbrach. (An dieser Stelle noch einmal ein Lob für den tollen Service und die gute Küche in der Jugendherberge Flessenow.)
Tag 2: Durchhalten! Mit Endorphinen aus der Komfortzone
(Flessenow – Retgendorf – Rampe – Leezen – Görslow – Raben Steinfeld – Mueß – Zippendorfer Strand (29 Kilometer) - Fotos zu allen beschriebenen Orten gibt es in der Galerie „Schweriner See“
Der Morgen begann angenehm frisch und mein Weg führte gleich hinter dem Zeltplatz vom Seecamping Flessenow durch einen Wald. Die Sonne schien durch das lichte Blätterdach und malte Muster auf den Waldboden. Eine traumhafte Szene wie aus einem Werbeprospekt, durch die ich da mit verkniffenem Gesicht humpelte.
Dabei war der Oberschenkel gar nicht das Problem. Irgendwann am letzten Tag musste ich mit dem Fuß umgeknickt sein, vermutlich, als ich schnell noch vor dem Regen die Jugendherberge erreichen wollte. Wirklich bemerkt hatte ich es nicht, nun aber nahm der Schmerz mit jedem Schritt zu und ich ärgerte mich, zwar an Blasenpflaster, nicht aber an eine Bandage und kühlende Salbe gedacht zu haben. Und das ausgerechnet heute, wo fast 30 Kilometer Weg vor mir lagen. Eingeschränkte Flexibilität ist leider der Nachteil, wenn man seinen Schlafplatz vorher bucht.
„Reiß Dich zusammen, Frau“, sagte ich mir. „Du hast mit dieser Wanderung so angegeben, da kannst Du jetzt nicht kneifen.“ Also Zähne zusammenbeißen und durch.
Bis Rampe lenkte mich die Strecke gut ab. Besonders in Retgendorf belohnte mich der wunderschöne Strand mit dem freien Blick auf das gegenüberliegende Ufer des Schweriner Sees für mein Durchhalten. Es ist ein Wahnsinnsgefühl, zu wissen, dass man gestern noch auf der anderen Seite war und den ganzen Weg bis hierher aus eigener Kraft zurückgelegt hat.
Dann kam der – sorry – bescheidenste Abschnitt meiner Wanderung. Ab Rampe führte mich meine WanderApp über eine Landstraße und später einen langen Feldweg nach Görslow. Im Nachhinein sehe ich, dass das wohl nur bis Leezen nötig gewesen wäre. Vermutlich hatte mir die mittlerweile heiße Sonne auf dem asphaltierten Radweg neben der Straße das Hirn verbrutzelt und mich der Dauerschmerz dermaßen mürbe gemacht, dass ich nur noch stumpf einen Fuß vor den anderen setzte. Von Abenteuerlust fernab vorgegebener Routen war da jedenfalls nichts mehr in mir.
Bis ich dann ans Görslower Ufer kam. Plötzlich schloss sich ein Dach aus Blättern über mir, Schatten hüllte mich ein und ich war in einer völlig anderen Welt, die mit der Realität da draußen nichts mehr zu tun zu haben schien. Laubwälder im Sommer sind für mich immer etwas Besonderes. Wenn dann aber noch der Schweriner See durch die Zweige glitzert, sich das Rauschen seiner Wellen mit dem der Blätter mischt und man auf einem umgestürzten Baumstamm sitzt und sich hungrig und erschöpft über sein Lunchpaket hermacht …
Alles fühlt sich so viel intensiver an …
Vom Geschmack des selbstgeschmierten Brötchens über die sich langsam vom Gewicht des Rucksacks entspannenden Schultern bis hin zum Wind, der kühlend über das Gesicht streicht.
DAS ist Leben. So etwas kann man sich mit keinem Geld der Welt erkaufen und auch niemals erspüren, wenn das Auto 100 Meter entfernt auf dem Parkplatz steht. Entsprechend überlegen fühlte ich mich auch den in Richtung Schwerin immer häufiger werdenden Spaziergängern. Überheblich? Ich weiß. Bitte seht es mir nach!
Dieses Hochgefühl trug mich jedenfalls über die letzten Kilometer des Tages. Durch Raben Steinfeld über die Störbrücke bis nach Mueß, wo mir mein Überschuss an körpereigenen Endorphinen einen Abstecher zur Reppiner Burg verordnete, den mein Körper nur noch mit leisem Wimmern kommentierte. Er wusste, dass er verloren hatte und gab auf. Der Wille war stärker – aber das sage ich dieses Mal nicht, um anzugeben. Ich möchte die Erfahrung teilen, dass es sich lohnt, aus seiner Komfortzone auszubrechen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder Mensch ein gewisses Maß an Glück empfinden kann. Und man führt entweder ein Leben, dass nicht wesentlich von diesem Durchschnitt abweicht und ist damit zufrieden. Oder man will mehr. Dann muss man aber stärkere Ausschläge auf seiner Glücksskala riskieren. Muss bereit sein, sich ins Unangenehme zu bewegen, um auf der anderen Seite zu erleben, wie es ist, vor lauter Glück zu fliegen. Wandern ist für mich ein gutes Sinnbild dafür. An meinem zweiten Wandertag flog ich über Erschöpfung und Schmerz hinweg.
Als ich hinter Mueß am Zippendorfer Strand ankam, erschienen mir die letzten zwei Kilometer als der reinste Triumpfmarsch über eine Strandpromenade, die sich vor ihren großen Schwestern an der Ostsee nicht verstecken muss. Rechts der Schweriner See mit seinem breiten Sandstrand und einem weiten, freien Blick, der dem einer Ostseebucht gleich kommt. Links Villen, von denen sicher jede ihre eigene Geschichte zu erzählen hätte.
Das Restaurant „Strandperle“ fiel mir besonders ins Auge und ich wusste gleich, dass ich hier nach meinem Einchecken in die Schweriner Jugendherberge essen würde. Meine Intuition täuschte mich nicht. Meine gelegentlichen Ausflüge von veganer zu pescetarischer Ernährung lohnten sich hier auf jeden Fall, die Alt-Schweriner-Fischsuppe war einfach traumhaft.
Rein netto gesehen brachte mir die abendliche Rückkehr zur „Strandperle“ noch einmal drei Kilometer zu den 29 meiner Wanderung um den Schweriner See hinzu. Aber jeder einzelne war es wert. Für die Fischsuppe – und auch für die wunderschöne Abendstimmung am Zippendorfer Strand.
Von der letzten Etappe meiner Wanderung erzähle ich Euch in den nächsten Tagen.
Fotos zu allen beschriebenen Orten gibt es in der Galerie „Schweriner See“.